... immer so leben ...

Drei Monate lang war ich auf dem Jakobsweg unterwegs. Diesem uralten Pilgerweg zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela. Schon im Mittelalter, als dieser Weg entstand, hatte er eine ungeheure Anziehungskraft auf die Menschen. Viele Pilger gingen den Weg, weil sie in Not ein Geluebde abgelegt hatten. Andere pilgerten mit einer grossen Bitte nach Santiago und wieder andere waren auf Busswallfahrt.

Warum gehst du den Weg? ist die obligatorische Frage die sich auch heute Pilger in der Herberge oder beim gemeinsamen Essen stellen. Die Antworten sind so  unterschiedlich wie die Menschen die diesen Weg beschreiten.
Ich gehe ihn aus Dankbarkeit. Das letzte Jahr ist für mich so gut gelaufen, sagte Daniel, ein Schauspieler aus Quebec/Kanada.
Magret, eine Daenin erzaehlt: Mein Vater ist Krebskrank. Ich moechte für ihn beten.
Ein Paar aus dem Ruhrgebiet will die Tragfaehigkeit ihrer Beziehung auf dem Weg pruefen.
Ann aus Australien sagt: Ich bin aus der Kirche ausgetreten. Aber mich laesst die Frage nach Gott nicht los.
Und ein junger Hollaender, der gerade aus dem Militaerdienst entlassen wurde, weiss noch nicht so recht, was er mit seinem Leben anfangen will. Vielleicht gibt mir der Jakobsweg Klarheit ... ist sein Motiv.

Als ich gefragt werde, weiss ich im ersten Moment nicht so recht was ich antworten soll ... Ich weiss nur, dass mich etwas auf diesen Weg gezogen hatte. Aber warum? Ich ueberlegte und sage dann: Vielleicht gehe ich, weil ich eigentlich immer so leben will.

Nicht, dass ich mein ganzes Leben lang mit dem Rucksack auf dem Ruecken in der Hitze und Kaelte, Regen und Sturm unterwegs sein will oder jede Nacht im Stockbett mit durchhaengender Matratze bei Schnarchkonzerten schlafen. Nicht dass ich jeden Morgen packen und weiterziehen moechte oder mich mit schmerzenden Fuessen oder Schultern abgeben ...
Aber ich wuerde gern viel mehr unter dem freien Himmel leben, die Natur nicht nur sehen, sondern erleben in all ihren Facetten, hautnah, echt.
Ich wuerde gern oefter im Schritttempo gehen – losgeloest von Uhr und Kalender. Und mir Zeit lassen zum Wahrnehmen, was rechts und links von mir geschieht - und natürlich in mir drin.
Ich wuerde gern die Einfachheit bewahren, dies bewusste Verzichten auf all die unnuetzen und unnoetigen Dinge mit denen wir uns taeglich umgeben. Und die Wertschaetzung simpler Selbstverstaendlichkeiten, wie z.B. einer heissen Dusche.
Ich moechte in der Gegenwart sein, hier und jetzt, nur auf dem Stueck Boden, dass unter meinen Fuessen ist.
Ich will Vertrauen haben, darauf dass ich den Wegweisern, die jemand aufmalte, folgen kann und nicht auf mich allein gestellt bin.
Ich will Dankbarkeit erleben, dankbar sein fuer die kleinen Aufmerksamkeiten, wie ein zugerufes ‚Viel Glueck’ eines fremden Menschen.
Moechte mir die Gabe bewahren mich zu spueren durch Schmerzen und Gluecksgefuehl , moechte mich hoeren durch Hunger und Wohlbefinden.
Ich wuerde gerne immer diese Solidarität erfahren, wie sie unter Pilgern moeglich ist. Zum Beispiel dass jemand fuer mich mitkocht, wenn ich muede in der Herberge ankomme. Dass man einander die Blasen versorgt und das Wasser teilt, wenn es auf dem Weg knapp wird.
Es ist schoen, wenn sich fremde Menschen ohne Scheu voreinander ansprechen und aussprechen koennen, wenn Titel und Beruf nichts zaehlen und sich alle duzen, weil sie sich durch den gemeinsamen Weg verbunden fuehlen.
Ich moechte Direktheit und Offenheit bewahren,  die natuerlich ist, wenn Begegnungen in Extremsituationen stattfinden.
Ich wuerde das gerne oefter erleben, dass Menschen mit den verschiedensten Kofessionen, aus verschiedenen Laendern,  sich trotz verschiedener Sprachen verstehen, weil man einander ohne Angst und Vorurteile begegnet.
Ich wuerde gerne mehr sehen, von den echten Gefuehle, denn Erschoepfung und Stolz auf das Geschaffte lassen keinen Platz fuer Falschheit.

Ja, ich möchte immer so leben.